Beitrag vom 01.12.2023, von Wiebke Semm
Liebe Trine, wir steigen direkt mit einer schwierigen Frage ein: Das Cambridge Dictionary definiert Kunst mit den Worten: „the making of objects, images, music […] that are beautiful or express feeling”. Das klingt sehr schwammig. Würdest du dich einmal an einer Definition versuchen?
Kunst ist ein dehnbarer Begriff, weshalb es auch nicht die eine richtige Definition geben kann. Für mich unterscheidet sich ein Kunstwerk von einem handwerklichen Produkt dadurch, dass es ohne die Absicht hergestellt wird, für irgendetwas verwendet zu werden. Wenn ein Kunstwerk auch eine praktische Funktion hat, nennen wir es Kunsthandwerk. Ein Beispiel dafür ist eine einzigartige Tasse eines Kunsthandwerkers, die ganz selbstverständlich Design, Kunst und Funktionalität miteinander vereint.
Als Gründerin eines der beliebtesten skandinavischen Unternehmen für Interieur-Design: Würdest du sagen, dass Design ohne Kunst möglich ist?
Ich habe Kunst und das Künstlerische immer als sehr inspirierend und lohnend empfunden. Meiner Meinung nach lehnen sich Kunst und Design aneinander an. Ich stelle sie mir als zwei miteinander verwobene Wesen vor, die zusammen tanzen, sich gegenseitig erforschen und ihre Grenzen austesten.
Würdest du dich selbst also auch als Künstlerin bezeichnen? Und meinst du, dass es zwingend künstlerisches Talent braucht, um in der Designwelt Fuss zu fassen?
Nein, ich betrachte mich überhaupt nicht als Künstlerin. Und zwar aus dem einfachen Grund, dass die Herstellung mehrerer Produkte mit demselben Design, wie es bei ferm LIVING der Fall ist, niemals Kunst sein kann. Aber das schliesst nicht aus, dass der kreative Gestaltungsprozess selbst etwas sehr Künstlerisches haben kann.
Auf der Website von ferm LIVING heisst es, dass dem Entstehungsprozess neuer Produkte „die Kunst des Gleichgewichts“ zugrunde liegt. Kannst du das genauer erklären?
Der Prozess der Entwicklung neuer Produktkollektionen ist eine Kunst des Gleichgewichts. Das richtige Gleichgewicht zwischen dem Kreativen und dem Strukturierten, dem Künstlerischen und dem Ruhigen, dem Schönen und dem Funktionalen zu finden, ist die wichtigste und schwierigste Aufgabe, die wir haben.
Welche Menschen kommen im Designstudio von ferm LIVING zusammen? Und was ergibt sich aus diesen Synergien?
Wir sind alle unterschiedlich, haben verschiedene Hintergründe und andere Fähigkeiten. Einer kommt aus dem Textilbereich, eine hat zuvor viel mit Beleuchtung gearbeitet, ein anderer ist Innenarchitekt. Ich selbst bin aus der Grafikbranche. Unser Designteam arbeitet auch eng mit den Category Managern zusammen, die noch einmal eine kommerzielle, operative Note reinbringen.
Was uns eint, sind unsere Werte. Wir sehen unsere Unterschiede als eine Stärke an. Wir versuchen immer, das Kreative mit dem Funktionellen und dem Verantwortungsvollen zu vereinen und auszubalancieren.
Wie näherst du dich persönlich einem neuen Design?
Ich finde es wichtig, dass ich zunächst eine Idee oder ein inneres Bild vor Augen habe, bevor wir in die Produktion gehen können. Meistens weiss ich schon recht konkret, wie das Produkt am Ende aussehen soll. Dann versuche ich, einem der Designer zu beschreiben, was ich mir vorstelle. Oder aber ich skizziere die Idee, die ich habe, auf einem Blatt Papier, das ich dann weitergeben kann.
Welche Art von Kunst gefällt dir und gibt es vielleicht einen Kunstschaffenden, der dir als Vorbild dient?
Ich interessiere mich hauptsächlich für zeitgenössische Kunst in Bezug auf das, was wir kaufen und womit wir uns zu Hause umgeben. Aber in Wirklichkeit schätze ich alle Arten von Kunst in verschiedenen Formen: Gemälde, Zeichnungen, Fotografie, Keramik usw. Ich bin ein grosser Fan von Skulpturen, weil mich der dreidimensionale Aspekt fasziniert.
Eine Künstlerin, die ich sehr inspirierend finde, ist Sonja Ferlov Mancoba. Sie war eine dänisch-französische Bildhauerin. Ihr Werk umfasst Gemälde, Collagen, Zeichnungen und Skulpturen. Sie begann ihr Leben als Künstlerin Mitte der 1930er Jahre und hörte bis zu ihrem Tod im Jahr 1984 nicht damit auf, neue Werke zu schaffen.
Mit Kunstobjekten werden immer auch die Worte „Einzigartigkeit“ oder „Unikat“ in Verbindung gesetzt. Wie passt das für Sie mit einer möglichen Serienproduktion zusammen?
Auch ein Design kann einen einzigartigen Ausdruck haben, auch wenn es in Massenproduktion hergestellt wird. Aber es kann niemals ein Unikat sein - das ist ein grosser Unterschied.
Im Sortiment von ferm LIVING finden sich viele Produkte, wie beispielsweise die Moire Vase oder der Erode Kerzenhalter, die sinnbildlich für die Verschmelzung von Nutz- und Kunstobjekt stehen. Würdest du sagen, dass der alte Grundsatz "form follows function" dem konträr gegenübersteht?
Es stimmt, dass der Leitgedanke, die Form eines Objekts müsse primär dessen Funktionalität dienen, in den genannten Beispielen in Frage gestellt werden kann. Man könnte argumentieren, dass der skulpturale und künstlerische Ausdruck vor der Funktion der Vase oder des Kerzenhalters kommt. Ich gehöre allerdings zu den Menschen, die oft den Ausdruck einer Vase ohne Blumen bevorzugen - auf diese Weise wird sie fast zu einer Skulptur.
Verrätst du, bei welchen Produkten für dich eher die Ästhetik als der praktische Nutzen im Vordergrund steht?
Das gilt wohl vor allem für Accessoiresund bestimmte Arten von dekorativer Beleuchtung. Bei Möbeln, Lampen und Textilien muss die Funktionalität im Vordergrund stehen, was die künstlerische Freiheit naturgemäss eingeschränkt.
In unserem Gespräch mit dir im Jahr 2020 haben wir deinen Sinn für Kunst und Einrichtung in deinem Zuhause bewundern können. Wie hat sich dieser Stil in den vergangenen Jahren entwickelt?
Mein Stil, oder besser gesagt, unser Stil, denn mein Mann teilt auch meine Leidenschaft für die Inneneinrichtung, ist fast derselbe wie vor zwei Jahren.
Wir haben einige weitere Kunstwerke erworben, die eine wunderbare Mischung ergeben: eine alte französische Bronzeskulptur, eine grosse freistehende Blumenskulptur, eine grosse, farbenfrohe Kartoncollage. Wir kaufen und kuratieren Kunst mit unserem Herzen. Für mich ist das ein intuitiver Prozess, bei dem ich schätze, wenn mich etwas anspricht.
Finde hier dein neues Lieblingsstück von ferm LIVING:
Vielen Dank, Trine, wir freuen uns schon auf die nächsten künstlerisch anmutenden Designs von ferm LIVING.
Der Beitrag erschien erstmalig, zusammen mit weiteren spannenden Interior-Stories, im aktuellen Visionary Magazin.
Beitrag vom 01.12.2023, von Wiebke Semm