Beitrag vom 25.07.2023, von Isabelle Diekmann
100 einzelne Arbeitsschritte erfordert es, einen CH24 zu fertigen. Seine Sitzfläche ist handgeflochten, 120 Meter Papierkordel ziehen sich hindurch – gewonnen aus nachhaltiger schwedischer Forstwirtschaft. Der CH24 Wishbone Chair ist ein handwerkliches Meisterwerk, ein Paradebeispiel dänischer Handwerkskunst. Hinter ihm steht eine Marke, die traditionelle, nachhaltige Produktion und kompromisslose Qualität zum gestalterischen Grundsatz gemacht hat: Carl Hansen & Søn.
Ja, heute ist der Wishbone Chair ein international gefeierter Stuhl, sein Designer Hans J. Wegner eine Ikone und Dänisches Design weltweit ein Begriff. Dem voraus geht eine Geschichte mit starken Wurzeln, mutigen Protagonist:innen und einer erfolgreichen Kollaboration einiger Visionäre. Eine Geschichte, die 1908 in einer kleinen Möbelwerkstatt in Odense, Dänemark begann …
Es war der Tischlermeister Carl Hansen, der sich mit seiner Werkstatt auf der Ostseeinsel Funen in Odense einen Namen machte, er fertigte Möbel nach Mass. Er war nicht nur der Ansicht, ein eigenes Unternehmen sei die beste Möglichkeit, seiner Familie eine gute Zukunft zu bieten, sein Ziel war es darüber hinaus, erstklassige Möbel zu einem annehmbaren Preis herzustellen. Die ausserordentliche Qualität war es, die dem kleinen Unternehmen über die Grenzen Odenses hinaus Bekanntheit verschaffte – ein Grundsatz, dem sich Carl Hansen & Søn bis heute treu ist.
Immer mehr Möbelstücke wurden angefragt, so dass Carl Hansen schon wenige Jahre nach der Gründung besonders beliebte Stücke in Serie produzierte. Eine Fabrik wurde gebaut und die Kombination aus Handwerkskunst und rationeller Serienproduktion entwickelte sich zum Markenzeichen des Unternehmens: jahrelange Handwerkstradition wird mit modernster Technologie vereint.
Schon mit 23 Jahren – 1934 – übernahm Carls Sohn Holger Hansen das Unternehmen. Er realisierte, wenn das Unternehmen vorankommen sollte, brauchte er einen guten Designer.
Die Begegnung mit dem Möbeldesigner Hans J. Wegner erwies sich später als entscheidender Meilenstein – nicht nur für Carl Hansen & Søn, auch für Wegner selber. In Spezialistenkreisen gefeiert, aber ausserhalb unbekannt, stand er am Anfang seiner Karriere. Und dennoch: Holger Hansen und sein Vertriebsmanager Ejvind Kold Kristensen glaubten an den Tischler und Architekten. (Foto: Hans J. Wegner)
1949 radelte Hans J. Wegner den weiten Weg von Kopenhagen nach Odense und präsentierte Carl Hansen & Søn vier Entwürfe: den CH22, der erst 2016 wieder in Produktion ging, den CH23, der Wegners Leidenschaft für die klassische Handwerkskunst spiegelt, den CH24, der Wishbone Chair, und den CH25 mit geflochtener Rückenlehne und Sitzfläche – alle äusserst kompliziert zu fertigen. Die Entwürfe eines Künstlers, nicht die eines Geschäftsmannes. Der Geschäftsmann, das war jedoch Holger Hansen. Er glaubte an die Entwürfe Hans J. Wegners und er glaubte an dänische Handwerkskunst. Gemeinsam waren sie eine erfolgreiche Symbiose – eine, die Carl Hansen & Søn wohl zu dem machte, was es heute ist.
1950 gingen alle vier Stühle auf den Markt. Nicht nur das, Holger Hansen gab die Entwürfe in Serienproduktion, er passte einen Grossteil der Produktion an die extrem unterschiedlichen – und noch völlig unbekannten – Designs an. Damit ging er zu jener Zeit ein grosses Risiko ein. Der durchschlagende Erfolg blieb aus.
Nicht lange. Holger Hansen, Ejvind Kold Kristensen und Hans J. Wegner gründeten 1951 ein Bündnis, sie schlossen sich mit anderen dänischen Herstellern von Wegner-Möbeln zusammen und gründeten SALESCO. Das Unternehmen diente allein dem Marketing und Vertrieb der von Hans J. Wegner entworfenen Möbel in Dänemark und ins Ausland. Eine raffinierte Idee, die nicht nur dem Möbeldesigner und Architekten Bekanntheit über die Grenzen Dänemarks hinaus verschaffte. Auch Dänisches Design selber wurde weltweit ein Begriff.
Und Carl Hansen & Søn? Für das Unternehmen bot der Export, insbesondere in den amerikanischen Markt, nahezu grenzenloses Potenzial. Das Geschäft boomte. Bis heute gilt Carl Hansen & Søn als treibende Kraft in der Mid-Century-Danish-Modern-Bewegung. Doch der nächste Schicksalsschlag wartete.
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Noch in jungen Jahren verstarb Holger Hansen an Herzversagen und liess zwei Söhne und seine Frau Ella zurück. Das war 1962 und sein Sohn Knud Erik Hansen war erst zehn Jahre alt, dessen älterer Bruder Jørgen Gerner war 15. Keine 24 Stunden nach dem Tod ihres Ehemannes traf Ella Hansen eine mutige und unerwartete Entscheidung: Sie würde das Familienunternehmen leiten, bis ihre Söhne alt genug waren.
Bis dahin war Ella Hansen kaum eingebunden gewesen. Sie nutzte die gesamte Summe der Lebensversicherung ihres Mannes, um die Lieferanten zu bezahlen. Damit sicherte sie die Liquidität des Unternehmens, ohne für sich selbst etwas zurückzulegen. Ella restrukturierte das Unternehmen, sie engagierte den langjährigen Controller Jul Nygaard.
Ella Hansen war eine charmante junge Frau, sie war sehr klein und sprach keine weiteren Sprachen, aber die Menschen liebten sie. Ob Franzosen, Deutsche oder Amerikaner, Ella sprach mit ihnen auf Dänisch – und sie verkaufte die Möbel. 20 weitere Jahre lang.
Nachdem ihr ältester Sohn Jørgen Gerner eine Ausbildung in einem anderen Möbelunternehmen abgeschlossen hatte, stieg er unter Jul Nygaard bei Carl Hansen & Søn ein. Umsichtig und reflektiert führten sie das Unternehmen. Der Wishbone Chair wurde zu dem Zeitpunkt so stark nachgefragt, dass sich die Wartelisten zeitweise auf zweieinhalb Jahre verlängerten – und dennoch wurden es die Menschen nicht leid, für einen dieser Kult-Stühle zu warten.
2002 entschied sich Jørgen Gerner für einen anderen Berufsweg, sein jüngerer Bruder Knud Erik Hansen übernahm die Firma und läutete neue Zeiten ein. Was er übernahm, war ein Unternehmen mit 20 Mitarbeitern, das einen Stuhl mit einer Wartezeit von zwei Jahren produzierte und jede Menge ärgerliche Kunden hatte. Innerhalb weniger Jahre machte er daraus ein wachsendes, international erfolgreiches Unternehmen mit einem Export-Anteil von 50 Prozent in 2018. Er liess eine neue, moderne Fabrik in Aarup, ausserhalb von Odense, errichten und verringerte durch die Produktion mit modernsten Maschinen die Wartezeit für den Wishbone Chair auf sechs Wochen. Bereits 2008 beschäftigte er 165 Mitarbeiter. Neben Stuhl-Klassikern liess er verstärkt auch Esstische, Sessel, Hocker, Sofas, Beistelltische und Büromöbel produzieren.
Knud Erik Hansen brachte all seine Erfahrungen ein, er veränderte mit harter Arbeit und Leidenschaft für seinen Beruf und das Unternehmen fast alles. Nur eines zieht sich bis heute kompromisslos durch das Unternehmen und jedes einzelne Möbelstück: erstklassige Qualität, traditionelle Handwerkskunst und nachhaltige Materialien – die Wurzeln, die sein Grossvater und sein Vater fast 100 Jahre zuvor gelegt hatten. Aus diesem Grund bedarf es noch heute 100 sorgfältige Arbeitsschritte, um einen CH24 zu fertigen. Aus diesem Grund werden die 120 Meter Papierkordel seiner Sitzfläche noch heute per Hand geflochten. Und aus diesem Grund wird sein Korpus noch heute aus 150 Jahre altem Buchen- und Eichenholz aus dänischen Wäldern gefertigt.
Und auch, wenn der Name Carl Hansen als grösster Hersteller von Wegner-Möbeln untrennbar mit den Kult-Stühlen der Design-Ikone Hans J. Wegner verknüpft ist, die Designschmiede versteht sich noch auf einige andere bedeutende Möbelklassiker – Entwürfe einiger der einflussreichsten dänischen Architekten wie Mogens Koch, Kaare Klint und Ole Wanscher. Meisterstücke, mit denen Carl Hansen & Søn das dänische Designerbe in die Welt hinausträgt. Schauen Sie doch mal rein!
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Beitrag vom 25.07.2023, von Isabelle Diekmann